Maximal 60 cm breit, vielleicht auch nur 50 cm. Der Schatten spendende Teilbereich auf dem Bürgersteig entlang der Häuserfassaden ist bei Temperaturen um die 35 Grad der letzte Zufluchtsort. Eine Oase des Durchatmens. Sonnenlicht reduziertes Exil, um den Rückweg der Mittagspause ohne Dehydrierungssymptome zu überstehen. Langsamen Ganges schleiche ich den Weg entlang. Schweißperlen bilden sich auf der Stirn. Jeder meiner Schritte ist durchchoreografiert - mit dem Ziel, auf keinen Fall auch nur ansatzweise mit der UV-Strahlung in Berührung zu kommen. Vor mir taucht ein Mann auf. Offensichtlich ein kluger Mann, denn auch er hat verstanden, dass die schattige Seite des Bürgersteigs die lebenswichtige Verdunklung bietet. Wir steuern unweigerlich aufeinander zu. Schritte werden langsamer. Taxieren uns gegenseitig. Ich blicke in wildentschlossene Augen. Er kneift sie zusammen und versucht aus meiner Mimik zu schließen, ob ich zu allem entschlossen bin. Ich bin es. Der Grashalm in meinem Mundwinkel flattert leicht im Wind. Der Kioskbesitzer im Hintergrund intoniert Ennio Morricones „Spiel mir das Lied vom Tod“ mit seiner Mundharmonika. Passanten sind schon lange keine mehr zu sehen. Lediglich ein Strohballen weht durch die Szenerie. Die Luft beginnt zu flimmern. Näher, er kommt immer näher. Die Eskalation scheint unausweichlich. Im letzten Moment, als schon alles zu spät scheint, drehen wir beide um 90 Grad bei. Im Seitwärtsgang schleichen wir aneinander vorbei. Unsere eingezogenen Bäuche berühren sich dabei leicht und zärtlich, aber keiner bekommt Sonnenkontakt. Und keiner verliert seine Würde. Es fallen keine Worte, ein anerkennendes Nicken reicht aus. Nochmal Glück gehabt. Also er.