Es muss neulich gewesen sein. Ich erinnere mich nicht mehr genau, aber vermutlich ist es bei der Lektüre eines ZEIT-Artikels passiert. Ich glitt mit den Augen flink die Zeilen entlang, als plötzlich ein mir unbekanntes Wort auftauchte:
flamboyant
Ich hielt kurz inne und betrachtete es neugierig. Meine Augen wanderten langsam von Buchstaben zu Buchstaben. Im ersten Augenblick wirkte es nicht besonders gefährlich. Eher nett. Ich sinnierte kurz, ob es mir jemals in einer Tierdokumentation begegnet war. Neben der oftmals wirklich tollen stimmlichen Vertonung von Tierdokumentationen haben diese auch die schöne Eigenschaft, dass gern mit einer tollen Bandbreite von Adjektiven hantiert wird, die der Sprecher benutzt, um den Zuschauern möglichst detailliert und schillernd die Tierwelt zu beschreiben.
„Noch lugt die neugierige Erdmännchengruppe schelmisch aus ihrem frisch errichteten, erdigen Bau in die rote, langsam untergehende Abendsonne der staubigen Serengeti, nichtsahnend dass sich ihr ärgster Feind, die listige Viper, leise schlängelnd von hinten nähert.“
“Passt auf, passt auf, verdammt nochmal, ihr blöden Erdmännchen, hinter euch“, schreie ich dem Fernseher aufgeregt entgegen. Ohne die Adjektive wäre die Situation vollkommen belanglos gewesen. Darwinismus. Fressen und gefressen werden. So aber wurde ich Teil der Tierwelt und die Erdmännchen instinktiv zu meinen Waffenbrüdern, die es zu schützen galt.
Noch schöner als Tierdokumentationssprecher kann das eigentlich nur Fritz von Thurn und Taxis, der regelmäßig sonntags Fußballspiele bei Sky kommentiert. Der österreichische Sportkommentator benutzt gern Adjektive wie „wuslig“, „schlängelnd“ oder „spritzig“, um besonders bewegliche Fußballspieler zu beschreiben. Ich stelle mir gerade vor, wie Fritz von Thurn und Taxis Tierdokumentationen synchronisiert und mir wird dabei ganz warm ums Herz.
Zurück zu flamboyant.
Noch immer etwas unschlüssig versuchte ich, das Wort anhand seiner natürlichen Umgebung, dem Kontext, zu entschlüsseln. Das kann unter bestimmten Umständen funktionieren, ist aber nicht immer ein Erfolgsrezept.
Kurzes Beispiel: „Günther, schau! Um uns herum sind Lianen, Schlingholz und Dschungelgeflecht, daher muss das getigerte, vierbeinige Tier mit den Reißzähnen vor mir einer dieser Affen sein.“
Man merkt schnell, Umgebungen lassen nicht zwangsläufig Rückschlüsse auf die genaue Artenbestimmung zu.
Nachdem diese Art der Entschlüsselung also fehlschlug, versuchte ich es mit einer onomatopoetischen Decodierung. Neben „flamboyant“ ist „onomatopoetisch“ auch so ein Wort, was sich eher rar macht. Grob gesagt bedeutet es, das Wort anhand seines Klanges zu entschlüsseln. Die einzigen Menschen, die „Onomatopoesie“ benutzen und wissen, was es bedeutet, sind Deutschlehrer und Sprachwissenschaftler. Und die einzigen Menschen, die „Onomatopoesie“ und „flamboyant“ benutzen, arbeiten wohl bei der ZEIT oder beim Duden.
An dieser Stelle gehen schöne Grüße an meinen ehemaligen Deutschlehrer, der irgendwann in der Mittelstufe eine Liste mit rhetorischen Stilmitteln herausgab, die innerhalb einer literarischen Arbeit gekennzeichnet werden sollten. Aufgrund des lustigen Klanges blieb mir die Onomatopoesie bis heute in Erinnerung. Natürlich bekomme ich auch noch die Alliteration hin, aber seien wir mal ehrlich, die Alliteration ist die Tütensuppe unter den rhetorischen Stilmitteln. Kann jeder. Aber so eine Onomatopoesie musste man innerhalb des literarischen Werkes erst mal entdecken. Da war mein Ehrgeiz geweckt.
Ich machte mich also daran, das Wort anhand seines Klanges zu entschlüsseln.
flãbo̯aˈjant
Klingt gut und lebensbejahend. So ein bisschen nach Sonnenschein und Eis und Baggersee. Ein tolles Wort, um spontane Gedächtnisreisen in den Süden zu unternehmen.
Ich ging also zum Späti und kaufte mir ein Eis. Ein Kaktuseis. Das schien mir am flamboyantesten von allen Eissorten. Erfrischt, aber immer noch ahnungslos ging ich zu meiner Wohnung zurück.
Als ich zurückkam, war es immer noch da. Ich schaute es nochmal an und verfiel mehr und mehr in Unsicherheit. Vielleicht hatte es doch keine so positive Bedeutung, wie ich mir anfänglich gedacht hatte, sondern war einfach nur ein altertümliches Wort, welches schrullige Tanten benutzen, wenn sie von einem rücksichtslosen Menschen sprechen. „Solch ein flamboyanter Flegel!“ Wäre auch denkbar. Jetzt war ich verwirrt.
Ich beschloss dem Ganzen ein Ende zu machen und tippte es flugs bei Google ein.
Flamboyant bedeutet einerseits farbenprächtig und grellbunt, andererseits aber auch heftig beziehungsweise energisch. Offensichtlich hatte ich also meinen Nachmittag damit verbracht, mich in flamboyanter Art und Weise mit „flamboyant“ auseinanderzusetzen. Passiert.