Ich habe eine Mitbewohnerin, mit der ich sehr viel Intimität teile. Sie sieht mich regelmäßig nackt und schmutzig, kennt Stellen an meinem Körper, die sonst niemand zu Gesicht bekommt und weiss, dass ich ein lang nicht so formidabler Sänger bin, wie ich gerne wäre. Dennoch ignoriert sie meine schiefen Töne und textliche Unsicherheiten, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Meistens gibt auch sie den Ton an. Sie plätschert munter drauf los und ich schweige. Manchmal stimmen wir ein Duett an und ich greife in ihr sonores Rauschen mit ein. Das wird dann zwar ziemlich laut und – Außenstehende möchten behaupten – auch nicht wirklich stimmig, dennoch bin ich der Meinung, wir ergänzen uns hervorragend.
Die Rede ist von meiner Dusche. Sie hört auf den Namen Greta. Greta ist ein Name, den in Deutschland vorwiegend ältere Damen tragen und der daher ganz hervorragend zu ihr passt, da auch sie schon etwas in die Jahre gekommen ist. Greta könnte aber auch ein blondes, amerikanisches Supermodel heissen, das schwedische Vorfahren besitzt und man würde ihren Namen dann mit kurzen „e“ und Betonung auf die zweite Silbe sprechen. Ich finde beide Aspekte charmant und freue mich über die elegante Namensfindung.
Greta ist noch bloß irgendeine Dusche – nein – Greta ist eine Charakterdusche. Sie hat ihren eigenen Willen und wird nicht müde, das auch immer wieder zu betonen. Gut zureden hilft meistens nicht viel. Liebes, ich habs doch nicht so gemeint! Nix, da! Man stößt schnell auf taube Ohren. Im schlimmsten Fall heisst es, ausharren und darauf hoffen, dass sich die erhitzten Gemüter wieder abkühlen. Überhaupt neigt sie dazu, sehr schnell von einem Extrem in das andere umzuschlagen. Im einen Moment kocht sie vor schäumender Leidenschaft, im anderen schenkt sie dir nur noch eisige Blicke. Das ist für einen jungen Mann wie mich sehr verwirrend. Frauen – insbesondere die in Duschenform – besitzen oftmals eine sehr wechselhafte Gefühlslage. Das ist wohl eine Tatsache, die man einfach akzeptieren muss.
Wer jetzt denkt, Greta und ich hätten eine sehr schwierige Beziehung, der irrt. Es ist kompliziert, das muss ich zugeben. Obwohl sie mich eigentlich immer von oben herab behandelt, ist aber das Schöne an Greta die Tatsache, dass sie zu Kompromissen bereit ist. Trotz ihres wankelmütigen Gemüts besinnt sie sich nach längerem Hin und Her immer auf ein Mindestmaß an Zuneigung. Das freut den Duschenden sehr. Und es gibt auch wirklich tolle Momente der Zweisamkeit. Es gibt Tage, an denen wir auf Anhieb harmonieren. Es gibt auch Tage, da braucht die Gute etwas Anlaufzeit, schnurrt dann aber wie ein Kätzchen und wir beide haben viel Spaß gemeinsam. Ich singe, sie spuckt Fontänen warmen Wassers aus. Herrlich.
Trotz der gelegentlichen Unstimmigkeiten möchte ich Greta nicht missen. Sie schenkt mir regelmäßig Wärme und Sauberkeit und ist in den Momenten für mich da, in denen ich mich richtig dreckig fühle. Und sie ist keine dieser 0815-Duschen, die immer sofort die passende Temperatur einstellen, wenn man sie darum bittet. Keine dieser Duschen, die stufenlos zwischen Polarmeer und Sahara wechseln können. Nein, Greta ist eine Rebellin und hat ihren eigenen Willen. Dafür mag ich sie. Danke Greta.